Atelierfotos: Natascha Romboy
Es bedarf nur einen Bruchteil von Sekunden, um mich zu fesseln. Was für ein schräges Foto! Das dazugehörige, knackig formulierte Kurzportrait in der Juni Ausgabe des art Magazins unter der vielversprechenden Headline „Die Superheldin“1 trägt sein Übriges dazu bei. Sophia Süßmilch erwischt mich unmittelbar. Noch am selben Tag schreibe ich ihr eine Mail und frage an für einen Atelierbesuch. Die Antwort folgt prompt.
Es sollte eine besondere Begegnung werden …
(1 Larissa Kikol, art Magazin, Ausgabe 06/2020, S. 100.)
Transformer (French girl), 2019
München. Sehr gespannt drücke ich den Klingelknopf. Wie wird sie sein? Ihre Fotografien, Performances und Malereien umwehen bei allem Humor und aller Verspieltheit auch etwas aggressiv Provokantes. Wie viel ihrer Persönlichkeit wird wohl darin gespiegelt? Innerlich noch in diesem Gedankenspiel verankert, zeigt sich mir bereits in der sehr warmherzigen Begrüßung eine Seite, die ich in der Kunstfigur Sophia Süßmilch nicht erwartet hätte.
Wir betreten das Atelier, das sie sich mit zwei weiteren Künstlern teilt. Der großzügige, gemütliche Raum mit Ausblick ins Grüne verbreitet eine wohlige Arbeitsatmosphäre. Eyecatcher ist die an einer Wand installierte Ansammlung bildhauerisch ausgearbeiteter Hängebrüste(!) unterschiedlichster Größe, die mit ihren geradezu dornenhaft hervorstehenden Brustwarzen – noch dazu knallrot im Kontrast zum Rosa der Brustformen – etwas Surreales und gleichzeitig Angriffslustiges ausstrahlen.
Atelieransichten
Umrahmt wird das brachial anmutende Ensemble von filigranen Malereien, die im ersten Augenblick an Kinderbuchillustrationen erinnern. Wohlgemerkt, nur im ersten Augenblick … Bei näherer Betrachtung lassen sich in den Bildaufbauten deutlich die Formen von Geschlechtsteilen, allen voran immer wieder die der übertrieben langgestreckten Hängebrust erkennen.
v.l.n.r.: Das letzte Abendmahl (Jesus steigt aus der Abschiedstorte), 2020; Genesis (Maria Magdalene, that old cunt, creates patriarchy), 2020, Baum der Erkenntnis, 2020
Das Spiel mit dem nackten Körper ist unverkennbar eines ihrer liebsten Experimentierfelder. Mit der Frage nach dem Warum steige ich in unser Gespräch ein.
Sophia: Ich finde es einfach plausibel in meinen Arbeiten nackt zu sein. Der pure, nackte Körper ist universell. Den haben alle Menschen auf der ganzen Welt. Sobald man etwas anzieht, verweist das schon auf einen Kulturkreis. Ich habe innerhalb meiner Fotografie von Beginn an mit Nacktheit gearbeitet, weil ich hiermit viel einfacher Emotionen hervorrufen kann. Jedes verwendete Requisit wird sehr viel stärker wahrgenommen.
l.: Teddy’s girl, 2019; r.: Waldmöbel, 2020
l.: I want you, r.: Stillleben mit Wassermelone und Sexualität
In der Tat. Die Requisiten sind sehr speziell in deinen Arbeiten. Geht es dir um Sexualität? Möchtest du provozieren?
Sophia: Nein. Meine Arbeiten sind in keinster Weise provokant gemeint. Auch geht es mir nicht vorrangig um Sexualität. Wenn ich beispielsweise wie bei I want you breitbeinig mit Riesenschnecken als vorgeblichem Vaginalsekret posiere, mache ich mich eher darüber lustig, dass Frauen nicht als sexuell aggressiv wahrgenommen werden. Grundsätzlich wundert es mich immer wieder, woran man sich an nackten Körpern überhaupt stört. Viele assoziieren Nacktheit sofort mit Sexualität. Der Grund ist meiner Meinung nach darin zu finden, dass der weibliche Körper überall extrem übersexualisiert und thematisiert wird. Auf unterschiedlichsten Ebenen findet hierbei eine Kontrolle über den weiblichen Körper statt. Auf politischer Ebene beispielsweise in Diskussionen über das Tragen einer Burka oder über das Recht auf Abtreibungen, auf gesellschaftlicher Ebene über Schönheitsideale, die uns – insbesondere über die Medien – als Maßstab vorgegeben werden. Es ist absurd, aber man schafft es nicht, sich dagegen zu wehren.
Geht es in deinen Fotos und Performances darum, diese Schönheitsstandards bewusst zu intervenieren?
Sophia: Innerhalb meiner Kunstfotografie sehe in den Körper eher als etwas wahnsinnig Lustiges, mit dem man doofe Sachen machen kann. Als eine Art playful toy. Er ist ein wunderbares Instrument und gibt mir viel mehr Möglichkeiten, wenn er nicht perfekt ist. Mit Kugelbauch oder Hängebrüsten lässt sich deutlich mehr anstellen, als mit einem Körper, der nach Schönheitsstandards definiert ist.
l.: Selbstportrait als Globuli, 2020; r.: Ein Meter Fünfzig (sozial distanziertes Portrait mit Mutter), 2020
Gehört Überwindung dazu? Gibt es so etwas wie Scham?
Sophia: Bei meinen Fotos nie. Eher bei meinen Performances, mit denen ich auch schon sehr früh begonnen habe. Das Schlimmste, was ich mir damals vorstellen konnte, war es, nackt vor dreihundert Leuten zu stehen. Also musste ich es machen. Ich glaube, dass sich vieles bei mir auf einer nahezu tiefenpsychologischen Ebene bewegt. Wenn ich solcherart Aktionen durchziehe, macht es mich unverletzlich. Nach dem Motto: Ihr habt alles gesehen …
Wichtig zu sagen, dass du auch angezogen gnadenlos hemmungslos agierst, wie beispielsweise in deiner kürzlich inszenierten Performance Schnitzel Atmen. Ich habe das Live-Video auf Instagram gesehen und wirklich lange nicht mehr so gelacht. Was ist dir in deinen Performances wichtig?
Sophia: Ich mag alberne Sachen und liebe deshalb Slapstick. Bei mir steht der Entertainmentgedanke im Vordergrund. Improvisation ist mir viel wichtiger als Perfektion. Die langweilt mich. Der Inhalt der Performances entwickelt sich spontan, oft auch aus Anlässen oder der Umgebung heraus.
Schnitzel Atmen, Performance 2020
Bei Schnitzel atmen ist der Impuls zur Idee jedem sofort klar. Gab es auch einen Anlass, der dich zum Denkmal der Beleidigungen geführt hat?
Sophia: Oh ja! Die Idee steht im Zusammenhang mit einem Ereignis in der vergangenen Silvesternacht. Ein ehemaliger Studienkollege meinte mir im volltrunkenen Zustand an den Kopf werfen zu müssen, was für eine schlechte Künstlerin ich sei. Ich war völlig perplex und in diesem Augenblick nicht fähig zu reagieren. Innerlich noch total geladen bestellte – man könnte schon fast sagen – zitierte ich ihn am nächsten Morgen zu mir nach Hause und forderte eine Erklärung für seine hingerotzte Wertung. Das leider erst einige Monate später stattfindende Gespräch offenbarte mir dann wieder einmal die Subjektivität in der Kunstbetrachtung. Ich überlegte, wie cool es doch wäre die persönliche Kränkung, die man als Künstler hierbei erfährt, von der Kritik abkoppeln und sich diese stattdessen einfach nur neutral anhören zu können. So entwickelte sich schließlich die Idee zum Denkmal der Beleidigungen. Vierzehn Schriftsteller und Journalisten waren eingeladen, Verrisse über mich zu schreiben, die ich dann im Rahmen eines Events auf dem von mir gestalteten Denkmal vorgelesen habe. Eine interessante Erkenntnis im Zusammenhang dieser Arbeit ist, dass ich seitdem mit zweihundert Prozent bei der Sache bin. Der gesamte Prozess war ein regelrechter Befreiungsschlag von meinen ewigen Selbstzweifeln.
Denkmal der Beleidigungen, Performance 2020
In allen deinen Arbeiten, unabhängig vom Genre, findet sich das von dir bevorzugt Improvisatorische. Steckt auch eine künstlerische Absicht dahinter?
Sophia: Weniger eine Absicht als die Tatsache, dass in mir zu viel Energie brodelt, um mich zu lange mit einer Sache befassen zu können. Es ist eine Kraft in mir, die immer sehr schnell weiter will. Ich arbeite auch deshalb so gern in so vielen verschiedenen Arbeitsfeldern, weil mich ein Genre allein schrecklich langweilen würde. Ich mache Kunst, um für mich die Welt zu sortieren und eine innere Ruhe zu finden. Auch wenn diese dann wieder nur von kurzer Dauer ist [lacht] …
Es folgt der zweite Teil meines Besuches. Bereits im Vorfeld hatte Sophia ihren Wunsch geäußert, mit mir ein Doppelportrait inszenieren zu wollen. Jetzt heißt es die Idee umzusetzen und Teil ihres neuen Kunstwerks Lady in red zu werden. Ein roter Overall liegt für mich bereit. Für sich selbst hat sie eine rote Lockenperücke und einen Eimer mit roter Farbe bereitgestellt. Logisch und vorhersehbar … Sie selbst inszeniert sich natürlich nackt. Das Making-of gestaltet sich derart, dass ich sie anmalen darf. Nach kurzer Überwindung schwinge ich den Pinsel und fühle mich spontan an vergessene Kindergarten-Exzesse erinnert. Ihr freier Geist ist spürbar ansteckend. Ihr Humor ist unschlagbar.
Making-of: Lady in Red
Ergebnis: Lady in Red
Für unser Cover-Foto erscheint es mir plötzlich völlig „plausibel“ nackt sein zu müssen. Alles andere hätte etwas aufgesetzt Falsches. Auch erscheint es mir im Rückblick völlig unsinnig, die Kunst von Sophia Süßmilch zwanghaft einordnen oder interpretieren zu müssen. Ihre humorvolle und selbstironische Art Fragen von Feminismus, Gender, Kunstgeschichte, Kunstkritik oder Zeitgeschehen in Szene zu setzen, ist ein Spiegel ihrer selbst in der sie umgebenden Welt.
Es ist einfach sie, die uns über die unmittelbare und schonungslose Konfrontation mit diesem Weltbild neue Denkräume öffnet, die das Eigene reflektieren lassen. Einfach, pur, großartig!
Dringend empfohlen ist der Besuch ihrer Performance anlässlich der Eröffnung ihrer Soloshow in der Galerie Martinetz in Köln im Rahmen der DC open (4. September, 2020, 19 Uhr)!!!!
Weitere Informationen
… über die Künstlerin:
Galerievertretungen:
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